Gastbeitrag Werner Lottermoser zum Mößbauer-Effekt

Bis zum heutigen Tage wurden 19 Nobelpreise an Wissenschafter vergeben, deren Erkenntnisse in Medizin, Technik und Naturwissenschaften erst durch die Anwendung des Doppler-Effekts ermöglicht wurden.

Ein Nobelpreisträger – Rudolf Mößbauer – entdeckte unter anderem folgendes Phänomen: Ist ein Atomkern Teil eines Kristalls, können infolge der dadurch (quantenmechanisch) erklärbaren Beseitigung seines Rückstoßes beim Austausch von Gammaquanten nukleare Energiezustände überhaupt erst mithilfe des Doppler-Effektes messbar werden. Diese Entdeckung trägt den Namen „Mößbauer-Effekt„.

Ao.Univ.-Prof. Dr. Werner Lottermoser von der Universität Salzburg hat uns eine Kurzfassung über Rudolf Mößbauer, den von ihm entdeckten Effekt  und den Bezug zu Doppler zur Verfügung gestellt:

Rudolf Ludwig Mößbauer wurde am 31. Januar 1929 in München geboren. Angeregt durch die berühmten Experimente und Exponate im Deutschen Museum, studierte er nach dem Abitur im Jahre 1948 Physik an der Technischen Universität München, wo er nach dem Diplom 1955 bereits 1958 bei Heinz Maier-Leibnitz mit dem Dissertationsthema „Kernresonanz-Fluoreszenz von Gammastrahlen im Iridium 191“  promovierte. Kurze Zeit später gelang ihm am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg der experimentelle Nachweis des nach ihm benannten „Mößbauer-Effektes“ – für seine Forschungen auf diesem Gebiet erhielt er 1961 im Alter von 32 Jahren den Nobelpreis für Physik.

Es bleibt die Frage, was die Entdeckung Christian Dopplers mit der Rudolf Mößbauers zu tun hat. Dazu muss etwas weiter ausgeholt werden:

Der Mößbauer-Effekt gehört zu den Resonanzerscheinungen, die im sichtbaren Spektralbereich schon sehr lange vorher bekannt waren. Strahlt man z.B. bei atomaren Systemen eine bestimmte Frequenz ein, nimmt ein den Kern umgebendes Elektron diese Frequenz auf („Absorption“ ) und wird dabei energetisch angeregt. Beim Zurückfallen in den alten Zustand wird genau diese Frequenz wieder abgestrahlt („Emission“), was wir als Licht wahrnehmen. Ein Analogfall aus dem täglichen Leben ist das Auffinden eines Radiosenders mit dem Suchlauf – wir hören den Sender nur, wenn der Empfänger  genau auf die Sendefrequenz eingestellt ist („Resonanz“) und Sende- und Empfangs“linie“ überlappen. Wenig geläufig dürfte sein, dass auch Atomkerne solche Resonanzerscheinungen zeigen können, dann aber nur im relativ hochfrequenten Bereich der Gammastrahlung und nur unter bestimmten Bedingungen. Die folgende Skizze soll die Verhältnisse veranschaulichen:

Ein energetisch angeregter freier Kern (etwa in einem Gas) fällt auf das Grundniveau zurück und emittiert dabei ein Gamma-Photon, das von einem zweiten Kern absorbiert wird. Dabei kommt ein Phänomen nachteilig zum Tragen, das sich bei freien Kernen fatal auswirkt: der Rückstoß beim Aussenden und Absorbieren des Gamma-Quants. Die Frequenzbreite Γ dieser Gamma-Linien ist nämlich so ungeheuer klein und der Rückstoß ER relativ dazu so groß, dass es normalerweise zu keinem Überlapp der Linien und damit auch zu keiner Resonanz kommen kann. Aufgrund der theoretischen Berechnungen zu seiner Dissertation kam R. Mößbauer zu dem Schluss, dass es doch zu Resonanzeffekten kommen kann, wenn man den emittierenden und den absorbierenden Kern in ein Kristallgitter einbaut. Hier wirkt sich ein Quanteneffekt aus, der nach der klassischen Physik nicht erklärbar ist: Das Gitter kann nämlich den Rückstoß nur in Quantenpaketen von Vielfachen von hw aufnehmen, wobei der Fall hw = 0 ausdrücklich erlaubt ist. In diesem Fall verhält sich das Gitter wie eine riesige Masse, die den schädlichen Rückstoß quasi vernichtet; es erfolgt keine Energieübertragung auf das Gitter. Daher wird der Mößbauer-Effekt auch als „rückstoßfreie Kern-Gamma-Emission und –Absorption“  bezeichnet. Die so entstandene Gammalinie hat die natürliche winzige Frequenzbreite Γ und befindet sich auch energetisch am Ort der Übergangsenergie E0, wodurch nach Mößbauers Entdeckung die Kernspektroskopie überhaupt erst möglich wurde. Warum dies für die Grundlagenforschung und die Anwendungen so wichtig ist, zeigt das folgende Diagramm:

Die beschriebene Mößbauerlinie kann nämlich relativ zum Energienullpunkt verschoben sein.
Diese „Isomerieverschiebung“ δ tritt ein, wenn im Kern (δ-) Elektronen „pendeln“; z.B. sind die Oxidationszustände des Eisens bzw. dessen Ionisierungsgrad in einer Verbindung (z.B. Fe3+, Fe2+, Fe0) dann mit sehr großer Genauigkeit über die Bestimmung ihrer Frequenzposition unterscheidbar. Die Richtung und Stärke interner elektrischer Felder, hervorgerufen durch die eigene Atomhülle bzw. umgebende Nachbarionen, führt zu einer Aufspaltung des angeregten Kernniveaus in zwei und damit zu einem Liniendublett Δ. Wie die Abbildung zeigt, können Grund- und angeregtes Niveau in verschiedene weitere Energie“levels“ aufspalten, dies führt dann i.d.R. zu einem Sextett von Linien H(), wodurch sich Richtung und Stärke interner Magnetfelder ausmessen lassen.

Der Bezug zu Doppler betrifft die technische Seite der Linienvermessung (Abbildung):

Um wieder unseren Analogfall zu bemühen: Man braucht einen speziellen Suchlauf, der sogar das Profil der durch die o.a. Einflüsse modifizierten Linien wiedergeben kann. Dies geschieht mit dem Doppler-Effekt: Indem man den Sendekern in seinem Gitter mit einer variablen Geschwindigkeit relativ zum Empfängerkern in dessen Gitter bewegt, verstimmt man via Doppler gleichzeitig die Frequenz der Gammalinie. Trifft man auf eine Empfängerlinie, wird sich die Intensität der gemessenen Gammastrahlung stark ändern, genau wie bei unserem Suchlauf, wenn wir auf einen Sender treffen. Praktisch geht das so, dass man einen radioaktiven Kern in einem bestimmten Kristallgitter („Quelle“) auf eine Art Lautsprechermembran schraubt, diese dann mit variabler Geschwindigkeit bewegt (und damit auch die emittierten Gammaquanten) und den Durchtritt der Strahlung durch die feststehende, zu untersuchende, Probe („Absorber“) z.B. mit einem Geigerzähler misst. Die Abhängigkeit der gezählten Gammaquanten von der Relativgeschwindigkeit zwischen Quelle und Absorber ergibt dann das gemessene Mößbauerspektrum. Die Positionen dieser erhaltenen Resonanzlinien werden mit Hilfe eines Computeranpassungsprogramms genau bestimmt und die dazugehörigen Parameter (z.B. die Isomerieverschiebung) ausgewertet. Der große Vorteil der Methode ist, dass der jeweilige Empfangskern wie eine Sonde auf einem speziellen Gitterplatz mitten im Kristall der zu untersuchenden Probe fungiert. Nachteil ist, dass der Mößbauereffekt nur bei etwa 40 Elementen auftritt – das in Natur und Technik weit verbreitete Eisen-57 (das zu ca. 2% im natürlichen Fe-56 enthalten ist) ist zum Glück eins davon.

Entsprechend groß ist die Zahl und Art der Anwendungen. Wie bereits erwähnt, lässt sich über den Mößbauereffekt die Verteilung unterschiedlich hoch ionisierten Eisens in einer Probe mit einer nasschemisch nicht zu erreichenden Genauigkeit bestimmen. Dieses FeIII/FeII-Verhältnis wirkt sich z.B. in Gläsern stark auf deren Wärmedämmungsverhalten aus. Andere Anwendungen betreffen die Archäologie (Zuordnung bestimmter Keramiken zu Herstellungsprozessen unterschiedlicher Kulturen: indirekte Altersbestimmung), Eisen- und Stahlherstellung, Korrosionsforschung (Detektion von Rost sogar unter Farbschichten),  Kosmochemie (Phasenanalyse in situ durch ein Miniatur-Mößbauerspektrometer bei der Marsmission), Biologie und Medizin (Bestimmung von Blutpathologien über den Spinzustand des Eisens im Häm-Molekül), Nanoforschung (Bestimmung des Inlets von mehrwandigen Kohlenstoff-Nanoröhren), Magnetismus (Erforschung der starken NdFeB-Sintermagnete), Batterieforschung (über eine oftmals dort verwendete Li-Fe-Phosphat Verbindung: Triphyllin) und vieles mehr. Als neuere Entwicklung wird die Mößbauer-Synchrotron-Spektroskopie noch zu vielen weiteren Erkenntnissen führen.

Auch zu den weiteren 18 Nobelpreisen mit Bezug zum Doppler-Effekt gibt es viel Wissenswertes auf dieser Plattform.

Publikation Werner Lottermoser