Bernard Bolzano (5.10.1781 Prag-18.12.1848 Prag)

Bolzano studierte ab 1796 in Prag Philosophie, Theologie und Mathematik, welche ihn als Philosoph so wesentlich beeinflusste, dass er zu sagen pflegte: „Ein schwacher Mathematiker wird nie ein starker Philosoph werden“. 1805 zum Priester geweiht und zum Dr. phil promoviert, wurde er zwei Tage später, zuerst provisorisch, ab 1807 endgültig, Prof. der Religionswissenschaft an der Hochschule in Prag. Diese war mit der Verpflichtung verbunden, Sonn- und Feiertags für die Studenten der Universität „Erbauungsreden“ zu halten. Diese fasste er in drei Maxime zusammen: „Befördere das allgemeine Wohl“; „Glücklich sein und glücklich machen, das ist unsere Bestimmung“ und „Fortschreiten soll ich“. Der Erfolg war so groß, dass er bis Wien drang. Die Folge war – ein Absetzungsdekret. Nur den Bemühungen des Erzbischofs Fürst Salm-Salm und weiterer Freunde war es zu verdanken, dass er bis 1819 in Ruhe gelassen wurde. Bolzano strebte ein vernunftorientiertes Verständnis des Katholizismus und soziale Reformen an. Weil sein Einfluss auf die Eliten und Studenten in Prag aber von Jahr zu Jahr wuchs und wegen angeblicher Irrlehren (da „er öffentlich und an geheiligter Stätte die Ruhe des Staates gefährdende Grundsätze vortrug“), wurde er 1819 seines Amtes enthoben, unter Polizeiaufsicht gestellt und seine Werke kamen auf den Index. Den Folgen des sogenannten Bolzano-Prozesses, der bis 1825 andauerte, entging Bolzano nur dadurch, dass er sich seinen Richtern geistig überlegen erwies, sowie durch sein hohes menschliches Ansehen, und dass er in Verborgenheit von 1823 bis 1841 bei seinem Freund J. Hoffmann in Techobuz lebte. Später wurde er von Graf Leo Thun finanziell unterstützt. Seit 1815 Mitglied der k. Böhm. Ges. der Wissenschaften. Starke Wirkung auf Franz Brentano und E. Husserl. Von letzterem zu den „größten Logikern aller Zeiten“ gerechnet.

Bolzano war es wahrscheinlich, der unter den Mathematikern zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts die tiefsten Fragen in Bezug auf die Grundlagen der Analysis stellte. „Wenn Bolzano der Mathematik nichts weiter gegeben hätte als seine Definition der stetigen Funktion“, schreibt Coolidge, „schon dies allein würde ihm einen Platz in der Geschichte dieser Disziplin sichern.“ Die „Functionenlehre“ Bolzanos wurde später im Nachlass gefunden und 1930 erstmals in Prag herausgegeben.

Bernard Bolzano und Christian Doppler

Als Doppler 1835 nach Prag kam, hielt sich Bolzano, von dem es in einem tschechischen Lexikon heißt, dass er „zu den ausgezeichnetsten und vollkommensten Männern seiner Zeit“ gehört, noch in Techobuz auf. Wir wissen aber, dass er in einem Brief vom 19. Oktober 1837 Franz Exner Doppler als „Freund“ bezeichnet. Bolzano fesselt bei diesem Physiker die spekulative, zu dieser Zeit in der Physik ganz ungewöhnliche Methode, die seinem Denken in der Mathematik ähnlich schien. Er „lechzt“, wie er am 24.7.1842 in einem Brief an Fesl schreibt, nach einem jungen Gelehrten, der sich, solange er noch lebt, unter seiner Anleitung mit seinen Begriffen vertraut macht und dann die Ausarbeitung des Werkes auf sich nimmt. So gefällt es ihm, als er in Techobuz erfährt, dass Doppler bereits bei seinem ersten Auftritt in einer Versammlung der mathematischen Sektion der k. Böhm. Akad. d. Wiss., am 3.12.1840, kritische Bemerkungen über den Aufsatz von Kulik betreffend das Kräfteparallelogramm machte. Er wird gegen den Widerstand von Kulik die Aufnahme des ersten Aufsatzes von Doppler in Prag in die Schriften der k. böhm. Akademie durchsetzen und wird Doppler, nachdem dieser am 25. Mai 1842 sein Prinzip vorgetragen hat, kompromisslos unterstützen. Bereits im Entdeckungsjahr wird er, wie Kreil, eine theoretische Arbeit darüber veröffentlichen und dabei betonen, daß Dopplers Schrift mehr leiste, als der Titel verspreche, und für die Akustik und Optik, wie für die ganze Wellenlehre, gleich wichtig sei.

Doppler wird in der Akademie der einzige mathematische Gesprächspartner Bolzanos. Es ist bemerkenswert, dass Doppler am 5. 11.1846 der einzige Hörer war (den Meteorologen Fritsch dürfen wir wohl ausnehmen), dem Bolzano seine später so berühmt gewordene Funktionenlehre vortrug, die mit der Klärung des Begriffes der „stetigen Function“, den Grund für die moderne Analysis gelegt hat. Es überrascht trotzdem, dass bis heute nie die Begegnung Dopplers mit Bolzano dokumentiert wurde. Die Arbeiten beider haben für nahezu ein ganzes Jahrhundert ein ähnliches Schicksal erlitten. Dopplers mathematische Arbeiten, ausgenommen die kurze Stellungnahme durch Prof. Edmund Hlawka (siehe Peter Schuster, Christian Doppler (1803-1853), 2. Band, 3. Teil, das Werk, Böhlau, 1992) blieben bis heute ohne Würdigung.

Bolzano schätzt Doppler. Er erkennt aber auch als erster, dass der Weg, den Doppler als Physiker zu gehen hat, ein anderer ist, und er akzeptiert es. Er schreibt noch eine ausführliche Würdigung der experimentellen Arbeiten Dopplers und fasst zusammen: „Und so wäre jetzt vollauf zu thun für alle Physiker und Astronomen! Jedem, der Muße hat, wäre Gelegenheit geboten zu sehr verdienstlicher Beschäftigung, zu Versuchen und Beobachtungen, die, wie immer sie ausfallen mögen, die Wissenschaft fördern, und deshalb auch einer dankbaren Anerkennung entgegen sehen dürften“.

Bolzano bemüht sich darum, Doppler, dessen Lungenerkrankung sich 1845 drastisch bemerkbar macht, einen anderen Posten zu besorgen. Er meint, er solle die Professur abgeben und eine Stelle in der Wissenschaftsverwaltung oder bei einem reichen Adeligen annehmen. Er ventiliert die Idee, Doppler im Zuge der Gründung der Akademie in Wien einen Posten anzutragen. Tatsächlich gleicht Dopplers Gesundheitszustand bereits einer Katastrophe. In den Monaten von Jänner bis Juni 1846 hat er die unglaubliche Zahl von elf wissenschaftlichen Abhandlungen in den Versammlungen der Ges. der Wissenschaften vorgetragen. Bolzano sorgt sich um den Freund und schreibt am 7.2.1846 an Fesl: „Professor Doppler erregt mich schon seit einigen Wochen mit einer nach der anderen hervorragenden Idee und beschäftigt mich damit wörtlich Tag und Nacht. Das ist unglaublich, welchen schöpferischen Genius in diesem Gelehrten Österreich hat“. Er fragt, ob die Abhandlung über Doppler von Kreil schon in die Hände der Personen kam, „von welchen es abhängt, ob ein solcher Genius für Wissenschaft gerettet oder als Pegasus unter dem Joch untergehen wird. Denn es ist das Schlimmste zu befürchten“.

Als Bolzano am 24.2.1848 und dann am 30.11.1848 bei seiner letzten Sitzung in der Sektion für Philosophie und reine Mathematik vor seinem Tod am 18.12.1848, seine Abhandlung über die „Paradoxien der Mathematik“, bzw. die „Paradoxien des Unendlichen“ vorliest, ist kein einziger Mathematiker mehr unter den Zuhörern. Doppler ist bereits seinen Weg weitergegangen. Doppler ist in Schemnitz.

Dr. Peter Maria Schuster, 2017